Vor der Reise von Papst Franziskus berichtet eine Deutsche aus Osttimor

Timoresin seit dem zweiten Tag

Image
Rosi Mühlhuber in Osttimor
Nachweis

Foto: privat

Caption

Aus Bayern zum anderen Ende der Welt: Rosi Mühlhuber (rechts) liebt ihre zweite Heimat.

Auf seiner Asienreise wird Papst Franziskus auch Osttimor besuchen. Wie leben die Menschen in dem Land? Was ist ihre Geschichte? Was bedeutet ihnen der Glaube? Rosi Mühlhuber, die dort ihren Freiwilligendienst absolviert, erzählt.

Am anderen Ende der Welt, in dem Land Osttimor, das zwischen den Inseln Indonesiens liegt, sammeln die Menschen Müll vom Strand und renovieren die Kathedrale der Hauptstadt Dili. Sie teeren Straßen und installieren Abwasserkanäle. Kirchenchöre proben jeden Tag ihre Lieder, Tanzgruppen studieren Choreografien ein und Kirchengemeinden hören spirituelle Vorträge. Auf Social Media teilen die Timoresen immer wieder Zitate von Franziskus. Das alles tun sie aus Vorfreude: Der Papst besucht sie.

„In Osttimor ist es die größte Ehre, wenn jemand dich besucht“, sagt die 29-jährige Rosi Mühlhuber. Sie wurde vor einem Jahr von dem katholischen Hilfswerk Fidesco nach Osttimor geschickt und leitet nun einen Freiwilligendienst in einer Hochschule. Hier betreut sie die Studierenden und gibt Englischkurse. Die Organisation Fidesco schickt berufstätige Freiwillige für mehrere Jahre ins Ausland. Manchmal gehen Paare oder ganze Familien mit Fidesco in den Freiwilligendienst. In welchem Land sie landen, entscheiden sie nicht selbst. „Ich habe mich nicht für Timor entschieden, aber ich habe mich trotzdem sofort in Timor verliebt“, sagt Mühlhuber. 

Sie erinnert sich an einen Moment, als sie erst ein paar Wochen dort lebte. Sie konnte die Landessprache Tetum noch nicht sprechen. Bei der Arbeit war alles neu. Auf dem Heimweg traf sie abends einen Jugendlichen, den sie flüchtig kannte. Als er sie sah, lächelte er und fragte spontan, ob sie sich zu ihm und seinen Freunden setzten wolle. Obwohl sie todmüde war und nicht viel verstand, setzte sie sich zu ihnen. Einfach, weil sie froh war, so willkommen zu sein.

„Es gibt eine Sicherheit zu wissen, dass alle gleich sind“

In der westlichen Welt gehe es immer darum, sein individuelles Glück zu finden, sagt Mühlhuber. In Osttimor sei es dagegen wichtig, in die Gesellschaft zu passen. „Es war ein Schock, meine Eigenständigkeit abzugeben. Aber dadurch, dass meine Kollegen mich überallhin mitgenommen haben, war ich seit dem zweiten Tag Timoresin“, erinnert sie sich. Und sagt: „Es gibt eine Sicherheit zu wissen, dass man dazugehört und dass alle gleich sind. Diese Sicherheit ist wichtig in einem Land, in dem es wenig Sicherheit von außen gibt.“

Seit 1511 war Osttimor portugiesische Kolonie. 1975 besetzte das Nachbarland Indonesien den Inselstaat und erst seit 2002 ist Osttimor unabhängig. Während der indonesischen Besatzung starb ein Drittel der Bevölkerung durch Hunger, Krankheiten und Kämpfe. In dieser Zeit spielte die Kirche eine wichtige Rolle. Sie beschützte die Menschen und die Bischöfe prangerten die Menschenrechtsverletzungen durch die indonesische Besatzung an.

Vor allem der erste Papstbesuch 1989 von Johannes Paul II. half den Osttimoresen: Durch die Medien geriet das Land endlich in den Blick der Welt. Die Bevölkerung wurde selbstbewusster. Während vor der Besatzung nur etwa 30 Prozent der Bevölkerung katholisch war, sind es heute 96 Prozent der 1,3 Millionen Bürger Osttimors. Am Sonntag sind die Kirchen voll, am Karfreitag gehen alle den Kreuzweg und im Mai wird der Rosenkranz gebetet – die Osttimoresen halten an katholischen Ritualen fest. 

Die anstehende Ankunft von Franziskus sorgt nun aber auch für Unmut im Land. Laut örtlichen Menschenrechtsgruppen hat die Regierung Osttimors Ausgaben von etwa 12 Millionen Dollar für den Papstbesuch angesetzt. Gleichzeitig haben 27 Prozent der timoresischen Bevölkerung nicht genug zu essen. Damit die Papstmesse am Strand stattfinden kann, hat die Regierung viele Hektar Land beschlagnahmt und die dort lebenden Familien vertrieben. Sie wissen nicht, wohin sie gehen sollen.

Armut und Arbeitslosigkeit sind große Probleme. Straßenkämpfe gibt es immer noch. Weil die Osttimoresen erlebt haben, dass ihnen von heute auf morgen alles genommen werden kann, genießen sie das Leben hier und jetzt. „In Timor denkst du nicht an morgen, du planst nicht für morgen, du sparst nicht für morgen. Es ist ganz normal, ein Haus zu bauen und es dann unfertig stehen zu lassen, weil das Geld ausgegangen ist“, sagt Mühlhuber. 

„Ich habe das Langsamsein sehr zu schätzen gelernt“

Rosi Mühlhuber wollte auf keinen Fall in ein Entwicklungsland reisen und als Europäerin auftreten, die den Einheimischen zeigt, wie sie ihren Job besser machen können. Die Idee von Fidesco ist, dass die Freiwilligen sich in der Mission zuerst anpassen und dann, nach und nach, mit ihren eigenen Fähigkeiten helfen. Deshalb dauert der Freiwilligendienst auch zwei Jahre.

Die meisten anderen Europäer in dem Land verhielten sich bis heute überheblich. Sie verdienten viel mehr als die Einheimischen, erzählt Mühlhuber: „Sie leben in Osttimor einfach das westliche Leben weiter“ – mit eigenen Restaurants und Shoppingmeilen. „Es fühlt sich an, als gehörte man plötzlich zu den Superreichen. Als würde man ein Luxusleben in einem armen Land führen.“ Sie selbst trifft sich in ihrer Freizeit lieber mit den Osttimoresen. Sie arbeitet mit ihnen und verdient so viel wie sie. „Was ich ihnen mitgeben kann, ist vielleicht einfach, dass auch ein Europäer normal sein kann, sie so akzeptiert wie sie sind und nicht ihre Kultur verändern will“, sagt Mühlhuber.

Timoresen genießen nicht nur, was sie gerade haben, sondern auch, mit wem sie gerade zusammen sind. Trifft man sich, um ein geliehenes Buch zurückzubringen, so setzen sich die Timoresen erst einmal zusammen und trinken in Ruhe einen Kaffee. Rosi Mühlhuber hat das zu Beginn rasend gemacht. Auch wenn sie die Zuverlässigkeit der Deutschen noch immer manchmal vermisst, sagt sie: „Ich habe die Zeit sehr zu schätzen gelernt, das Langsamsein und die Geduld.“

Mehr über Fidesco gibt es hier.

Luzia Arlinghaus

Papstreise: Am 2. September beginnt Papst Franziskus seine bislang längste Auslandsreise. Der 87-Jährige reist innerhalb von zwölf Tagen in sehr unterschiedliche Länder Asiens – vom reichen Singapur bis zum armen Papua-Neuguinea, vom mehrheitlich muslimischen Indonesien bis zum überwiegend katholischen Osttimor.