Lesepaten
Vorlesen ist auch Zuwendung
Mein Hobby ist Lesen – das klingt nicht so aufregend wie Kickboxen oder Schlagzeugspielen. Und doch eröffnet Lesen Kindern eine neue Welt. Auch Vorlesen ist wichtig, für die Entwicklung von Fantasie und Wortschatz. Wer Lesepate werden will, sollte einiges beachten.
Lesen kann doch jeder – und was ist das Besondere daran? Dass Kinder, die viel lesen, meistens gute Noten im Fach Deutsch haben, verwundert kaum. Doch ob Kinder viel oder wenig lesen, wirkt sich auch auf andere Fächer aus. Mangelnde Lesekompetenz – also dass die Kinder Buchstaben aneinanderreihen, ohne den Sinn des Textes zu erfassen – führt dazu, dass Textaufgaben nicht richtig verstanden werden.
Beispiel Mathe
„Das Rechnen stellt nicht das Problem dar“, sagt Mathelehrer Stephan Driendl. „Viele Kinder scheitern bei Textaufgaben am Verständnis, weil sie nicht erfassen, was sie wie in eine Rechnung bringen sollen.“ Er beobachtet diese Tendenz auch bei guten Schülerinnen und Schülern. Mathelehrer Driendl steuert dagegen an: „Wir üben mit den Kindern, wie sie eine Textaufgabe auseinandernehmen können, markieren zentrale Infos farbig. So lernen sie, den Text zu analysieren und alles Wichtige für die anschließende Rechnung herauszufinden.“
Auch Vorlesen ist wichtig
Ob ein Kind Lust aufs Lesen entwickelt, zeigt sich nicht erst ab der Grundschule, sondern viel früher. Das Vorlesen spielt eine enorme Rolle. Laut einer Studie der Stiftung Lesen (mit Deutscher Bahn und „Die Zeit“) lesen 32 Prozent der Eltern ihren Kindern gar nicht vor, die Kinder kommen auch als Zuhörer nicht mit längeren Texten in Berührung. Gründe dafür, dass im Elternhaus nicht vorgelesen wird, sind Zeitmangel im stressigen Alltag oder die Tatsache, dass den Eltern selbst kaum vorgelesen wurde, als sie Kinder waren.
Andere Studien ergaben, dass Lesen nicht nur das Lesen selbst und Verstehen von Texten fördert, sondern auch Einfühlungsvermögen und die Erweiterung des Sprachschatzes. Ebenso könne man hibbelige Kinder mit Vorlesen beruhigen. Außerdem eröffnen Bücher den Kindern andere Welten, vermitteln Sachkenntnisse (wie Bücher aus der Reihe: „Ich hab einen Freund, der ist Polizist“) oder sie stellen Helden vor und regen die Fantasie an. Das Kind kann sich selbst überlegen, wie die Meerjungfrau aussieht: in seiner eigenen Fantasie vielleicht ganz anders als in der filmischen Disney-Welt.
Vorlesen als Ritual
Ariane Heitkämpers Eltern haben ihr nie vorgelesen. „Dafür aber meine Tante“, sagt die heute dreifache Mutter. In den Sommerferien habe sie es als Kind genossen, die Tante zu besuchen und jeden Abend einer „Gute-Nacht-Geschichte“ zu lauschen. „Deshalb habe ich das bei meinen Kindern genauso gemacht. Das Vorlesen am Abend war ein Ritual, an dem viele Jahre nicht gerüttelt wurde.“ Ihre Tochter sei mittlerweile zwölf, „aber hin und wieder soll ich ihr noch vorlesen, was ich sehr gern mache“, sagte Ariane Heitkämper, die dann die gemeinsame Zeit mit dem Kind genießt.
Vorlesen durch Lesepaten
Für Kinder gibt es nicht nur Möglichkeiten, Bücher auszuleihen, sondern auch, außerhalb des Elternhauses etwas vorgelesen zu bekommen. Die Stiftung Lesen fördert derzeit 640 Leseclubs deutschlandweit für Kinder im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren.
Viele Kindertagesstätten und Grundschulen setzen ehrenamtliche Lesepaten ein. Einer von ihnen ist Hermann Haarmann. Der 67-Jährige hat im vergangenen Schuljahr in der Osnabrücker Drei-Religionen-Schule einigen Viertklässlern vorgelesen und die Kinder gefragt, wofür sie sich interessieren. Das Mädchen wählte ein Ponybuch, der Junge ein Sachbuch über Fußball; der Junge konnte seinem Fußballtrainer später sogar eine Frage beantworten, die im Buch aufgetaucht war.
Wichtiger als der Inhalt der Bücher war aber die Tatsache, dass ein Erwachsener sich ohne Unterbrechung mit dem Kind befasst hat. „Das Vorlesen war auch geschenkte Zeit“, sagt Haarmann, auch „Zeit zum Zuhören, ohne dass jemand nebenher kocht oder nebenher aufräumt.“ Haarmanns Fazit: Wer Lesepate sein will, „muss Geduld mitbringen, Ruhe ausstrahlen, auf das Kind eingehen, und man darf es nicht überfordern.“
Christine Schniedermann/Andrea Kolhoff