Zwischen Kosten und Menschlichkeit
Wer leistet künftig die Pflege?
kna / Harald Oppitz
Kommt diese Entwicklung der Pflegeversicherung überraschend oder hat man das in Fachkreisen schon länger absehen können?
Die DAK hatte bereits Anfang April darauf hingewiesen, dass es wohl zum Jahresbeginn 2025 höhere Beiträge geben müsse, wiewohl diese ja erst im Sommer 2023 erhöht worden waren. Schon sehr lange gibt es die Kritik, dass die Pflegeversicherung mit versicherungsfremden Leistungen belastet ist. So ist etwa die Finanzierung der Rentenbeiträge für pflegende Angehörige - nach Aussage des GKV-Spitzenverbands in diesem Jahr rund 4 Milliarden Euro - keine genuine Aufgabe der Pflegeversicherung. Außerdem wurden während der Corona-Pandemie zum Beispiel die Tests in Heimen und die Boni für Pflegekräfte aus Versicherungsgeldern bezahlt. Dies hat die DAK in einem Rechtsgutachten prüfen lassen und fordert nun vom Bund die Rückzahlung von ca. 5,9 Milliarden Euro.
Wie sollte eine gerechte Finanzierung der Pflege aussehen? Geht es immer nur um Beitragserhöhungen?
Die Frage hat viele Facetten. Eine echte solidarische Pflegeversicherung sollte von allen getragen werden. Das heißt, es sollten auch die Bezieher höherer Einkommen einbezogen werden, die sich darüberhinausgehend ja immer noch privat weiter versichern können. Außerdem muss man über die Beiträge hinaus genauer hinschauen: Je nach Situation zahlt zum Beispiel eine pflegende Angehörige doppelt, indem sie zum einen ihre Versicherungsbeiträge entrichtet und zum anderen ihre Zeit für die Pflege einbringt. Kürzt sie deswegen ihre Arbeitszeit, nimmt sie den Einkommensverlust, der durch das Pflegegeld nicht ausgeglichen wird, ebenso hin wie eine spätere geringere Rente. Würde mehr in Prävention investiert und würden die Menschen dadurch später oder gar nicht pflegebedürftig, wäre der Finanzbedarf geringer. Für Prävention muss aber die Krankenversicherung zahlen, die kein Interesse daran hat, die Pflegeversicherung zu entlasten…
Was sind die Kostentreiber?
Zum einen die schiere Anzahl. Als die Pflegeversicherung vor 30 Jahren eingeführt wurde, war die Zahl der pflegebedürftigen alten Menschen deutlich geringer als heute. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts gab es im Dezember 1999 2,02 Millionen pflegebedürftige Menschen. Ende Dezember 2023 waren es bereits 5,2 Millionen. Zweitens wurde der Pflegebedürftigkeitsbegriff 2017 neu gefasst: während bei Einführung der Pflegeversicherung - schon damals aus Kostengründen - nur die körperlichen Einschränkungen eine Rolle spielten, stellt der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff auf die „Beeinträchtigung der Selbständigkeit“ ab, womit auch dementielle Erkrankungen in die Beurteilung von Pflegebedürftigkeit einbezogen worden sind. Das hat natürlich zur Folge, dass mit diesem erweiterten Begriff auch mehr Menschen der Definition entsprechen. Drittens schlagen sich Leistungsverbesserungen nieder: So gibt es seit 2022 in Abhängigkeit von der Dauer des Aufenthalts in einem Pflegeheim einen Leistungszuschlag für den Eigenanteil an den pflegebedingten Aufwendungen. Und viertens hat die sogenannte Tariftreueregelung zu einem deutlichen Kostenanstieg geführt, weil die Träger seit September 2022 ihr Personal nach Tarif beziehungsweise dem „regional üblichen Entgeltniveau“ bezahlen müssen. Bei all dem ist zusätzlich zu bedenken, dass ja bei weitem nicht alle Leistungsansprüche verwirklicht werden; zum Beispiel nimmt nur ein Bruchteil der Leistungsberechtigten für die Tagespflege diese auch in Anspruch. Das heißt, die Kosten wären noch sehr viel höher, wenn alle in Anspruch nähmen, was ihnen zusteht.
Welche Rolle spielt die Bürokratie?
In Bezug auf die Kosten halte ich dies für nicht so zentral. Das betrifft eher die Leistungen: wer seine Zeit mit ausführlichen Dokumentationen verbringt, kann sie nicht für die Pflege- und Betreuungstätigkeit im engeren Sinne einsetzen.
Die Frage nach dem Geld ist in der Pflege immer wieder ein Thema, doch das ist ja nur eines der Probleme. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?
Absolut zentral ist für mich, wer zukünftig die Pflege leisten soll. Schon jetzt ist es so, dass zum Beispiel Heime Plätze, die sie haben, nicht belegen können, weil sie das erforderliche Personal dafür nicht finden. Oder dass Pflegedienste keine weiteren Kunden annehmen können, weil auch sie nicht das erforderliche Personal haben. In diesem Zusammenhang wird leicht übersehen, dass dieser Personalmangel sich ja nur auf die professionell erbrachte Pflege bezieht. Tatsächlich werden aber rund 80 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause von An- und Zugehörigen versorgt. Das funktioniert aber nur, wenn diese dazu bereit sind und nah genug wohnen. Die Pflege von Angehörigen ist belastend und zeitintensiv. Deshalb reduzieren viele pflegende Angehörige ihre Arbeitszeit, was entsprechende Einkommens- und spätere Renten-Verluste mit sich bringt. Dabei stellt sich die Frage, ob auch in Zukunft Angehörige - über 60 Prozent sind Frauen - dazu bereit sein werden. Bedeutsam in diesem Zusammenhang ist zudem die Zunahme von Single-Haushalten. 2022 waren 41 Prozent der Haushalte Single-Haushalte, weitere 33 Prozent Zwei-Personen-Haushalte. Wer übernimmt die Pflege eines Singles oder des überlebenden Teils eins Paares? Es müssen also Sorge-Strukturen jenseits der Familie entwickelt, gefördert und begleitet werden, die nahe an den Betroffenen sind. Das Zusammenwirken im Quartier ist erforderlich.
Wie ist die Situation in den Caritas-Heimen in Niedersachen? Gibt es da Unterschiede zu anderen Trägern?
Im Zuge der Einführung der „Tariftreueregelung“ hat sich die Kostensituation der Heime angeglichen. Die Caritas zahlt schon immer nach Tarif und war damit im Vergleich relativ teuer, denn über 70 Prozent der Kosten eines Heims sind Personalkosten. Hier sind die Unterschiede nun nicht mehr so groß. Was das Personal angeht, steht und fällt dessen Bindung an eine Einrichtung beziehungsweise einen Träger mit der Haltung und dem Handeln der Leitung. Wichtig sind den Mitarbeitenden vor allem authentische Führungskräfte, Vertrauen, Wertschätzung, offene Kommunikation und eine verlässliche Dienstplanung. Auch bei Instandhaltungsfragen sieht es eigentlich für alle Träger ähnlich aus: Einrichtungen, die im Laufe der Jahre konsequent in ihre Einrichtung investiert haben, sind jetzt gut aufgestellt. Wer jahrelang nicht erneuert hat, findet sich zunehmend vor Probleme gestellt. Aktuell sind die Einrichtungen damit konfrontiert, Hitzeschutzmaßnahmen in den Häusern zu schaffen. Für deren Refinanzierung sieht sich allerdings niemand in der Verantwortung. Womit wir wieder am Anfang wären: jede notwendige und gewollte Verbesserung kostet. Aber niemand will oder kann die ständig steigenden Kosten tragen.