Impuls zum Sonntagsevangelium am 21.01.2024

Wie war es wirklich?

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Petrus-Statue im Vatikan
Nachweis

Foto: kna/Stefano Dal Pozzolo

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Petrus hat viel Verantwortung bekommen, aber nicht nur er. Hier seine Statue mit den Schlüsseln des Himmels im Vatikan.

Beim Evangelisten Markus klingt die Berufung des Simon-Petrus ganz anders als bei Johannes am letzten Sonntag. Welche Version ist nun richtig? Theologin Andrea Taschl-Erber erklärt, dass es auf etwas anderes ankommt.


Das Johannesevangelium berichtet, dass Andreas seinen Bruder Simon mit Jesus bekanntmacht. Markus erzählt dagegen, Jesus habe Simon zuerst angesprochen und ihn gerufen, sich ihm anzuschließen. Warum so unterschiedlich? 

Das ist eine spannende Frage. Das Markusevangelium entstand um 70 nach Christus, das Johannesevangelium um 100 nach Christus. Das ist schon eine ganz andere Zeit als die, in der Jesus gelebt hat. Klar kann man fragen: Wie war es denn nun? Doch letztlich geht es in beiden Texten nicht darum, eine historische Geschichte darzustellen. 

Sondern?

Die Evangelien erzählen die Geschichte Jesu und seiner Jüngerinnen und Jünger aus nachösterlicher Perspektive. Das heißt, es fließen sowohl die historischen Ereignisse aus dem Leben Jesu als auch die Fragen und Probleme in den christlichen Gemeinden im ersten Jahrhundert ein. So kommt es, dass Ereignisse unterschiedlich erzählt werden. 
Was bedeutet das bei der Berufung des Simon, der später Petrus genannt wird?
Es geht insbesondere auch darum, welche Bedeutung Simon Petrus für den jeweiligen Tradentenkreis hat ...

… also für die Gemeinden, in deren Umfeld das jeweilige Evangelium entstanden ist.

Andrea Taschl-Erber
Andrea Taschl-Erber lehrt in Paderborn biblische Theologie. Foto: Universität Paderborn/Julian Heise

Ja. Man kann davon ausgehen, dass es keinen einzelnen Verfasser der Texte gibt, sondern ein Kollektiv, das Traditionen überliefert und gestaltet. So wird in den Gemeinden, in denen das Markusevangelium und das Johannesevangelium jeweils entstanden sind, die Rolle des Petrus unterschiedlich stark betont. Beispielsweise bei der Frage, wer zuerst von Jesus in dessen Jüngerkreis berufen worden ist. Im Markusevangelium ist das ganz klar Petrus. Damit bekommt er eine Art Ehrenplatz im Text.   

Gab es denn keine Befürchtungen, dass die Geschichte Jesu unglaubwürdig wird, wenn sie so unterschiedlich erzählt wird? 

Ich gehe eher davon aus, dass das Markusevangelium gegen Ende des ersten Jahrhunderts bekannt war und dass das Johannesevangelium dann für die Hörer und Hörerinnen eine neue Perspektive bieten sollte. So dass sie sagen: „Die Geschichte kenne ich jetzt aber auch anders“ – und dass sie nachfragen, warum Johannes die Geschichte anders erzählt. 

Warum erzählt er sie anders?

Die Rolle des Petrus schaut bei Johannes insgesamt anders aus als in den sogenannten synoptischen Evangelien, also bei Matthäus, Markus und Lukas. Er ist nicht der, der als Erster von Jesus berufen wird. Er spricht auch nicht das entscheidende Messiasbekenntnis. Johannes rückt demgegenüber verschiedene Figuren in den Vordergrund. 

Wen zum Beispiel?

Zum Beispiel Marta, mit der Jesus das zentrale Thema der Auferstehung bespricht, als ihr Bruder Lazarus gestorben ist. Oder Maria von Magdala, die als Erste dem Auferstandenen begegnet. Dann ist da noch die Figur des sogenannten „anderen“ Jüngers, „den Jesus liebte“: Er wird zwar namentlich nicht genannt, spielt aber für die johanneische Gemeinde eine zentrale Rolle als Identifikationsfigur. So ist er in der Ostererzählung schneller am Grab als Petrus, und als er hineinschaut, kommt er als Erster zum Glauben. Wie Petrus reagiert, überliefert das Evangelium an der Stelle nicht. 

Dagegen wird er im Markusevangelium als erster Jünger berufen.

Das hat vermutlich mit seiner späteren Funktion zu tun. Als das Markusevangelium entstand, war Petrus schon tot. Trotzdem spiegelt sich im Text die lebendige Erinnerung an ihn als Missionar, als Gemeindeleiter, als Brückenbauer in einer Zeit, in der sich die Jesus-Bewegung finden musste. Petrus ist für die Gemeinde des Markusevangeliums so identitätsstiftend, dass er nachträglich den ersten Platz bekommt. Auch bei der Aufzählung der Zwölf wird er als Erster genannt.

Und in den Gemeinden des Johannes ist Petrus nicht so wichtig, so dass er nicht als erster berufen wird?

In der Erzählung des Johannes ist die vermittelnde Rolle der Jünger und Jüngerinnen wichtig: Die eigene Begegnung mit Jesus führt dazu, dass man selbst andere Leute anspricht und zu Jesus führt. So skizziert das Johannesevangelium die entstehende Bewegung: wie eine Welle, die ins Rollen kommt.

Und da ist Petrus eher einer unter vielen? 

So würde ich das nicht sagen. Seine traditionelle Vorrangrolle wird schon anerkannt, aber es werden ihm noch andere Figuren im Evangelienverlauf an die Seite gestellt.

Was bedeutet die unterschiedliche Gewichtung seiner Rolle?

Sie zeigt, dass es in den frühchristlichen Gemeinden viel Pluralität gegeben hat. Sie zeigt auch eine gewisse Offenheit und dass es nicht nur auf die historischen Details ankommt. In den jeweiligen Gemeinden sind identitätsstiftende Erzählungen entstanden: Hier war Petrus für die einen mehr, für die anderen weniger wichtig. 

Was ergibt sich daraus für uns?

Zum einen, dass Petrus nicht überall die gleiche herausragende Rolle hatte. Zum anderen könnte man sagen: Es gibt verschiedene Wege, wie man mit Jesus in Kontakt kommen kann und wie man ihm folgen kann. Das ist auch heute noch so.

Interview: Barbara Dreiling

Barbara Dreiling