Impuls zum Sonntagsevangelium am 26.05.2024
"Wir sind präsent"
Foto: imago/Photo2000
Stolz und voller Zuversicht klingt Stephan Rhode am Telefon. Immer neue Beispiele fallen ihm ein, wo Kirche den Menschen guttut, wo Gebete, Kerzen und Bibelsätze sie aufrichten, auch wenn sie mit Glauben gar nichts am Hut haben. Was ihn nur manchmal ärgert, sind die Klischees, die er über Katholikinnen und Katholiken im Osten hört, und vielleicht auch die Resignation mancher Gläubiger. „Wir sind hier keine Defizitkirche. Wir sind Christen. Wir sind katholisch, in dieser Stadt, in dieser Zeit. Es ist anders als in Köln und das ist auch gut so“, erklärt er.
Rhode (44) ist Gemeindereferent in der katholischen Gemeinde St. Laurentius in Erfurt, in der Stadt, in der in wenigen Tagen der Katholikentag beginnt. Aus seinem Bürofenster blickt er auf die 1140 erbaute gotische Lorenzkirche, nur eine der über 20 Kirchen in der Altstadt. Für ihn ist Erfurts lange katholische Geschichte wie ein Erbstück, das gleichzeitig Gegenwart und Zukunft birgt.
Dabei sind nur sechs Prozent der 215 000 Einwohnerinnen und Einwohner Erfurts katholisch und nur 14 Prozent evangelisch. Über 2400 Menschen sind allein im Jahr 2022 im Bistum Erfurt aus der katholischen Kirche ausgetreten. Nur 28 wurden katholisch, ließen sich taufen oder sind wieder in die katholische Kirche eingetreten.
Wie versteht Rhode dann also den Missionsbefehl im Matthäusevangelium: „Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe.“
„Wir haben eine Perspektive“
So einfach, wie der Evangelist das notiert hat, ist es aus Rhodes Sicht nicht. Und schnell geht es auch nicht. „Mir geht es nicht darum, Kirchenmitglieder zu rekrutieren, sondern Menschen mit Jesus und seiner froh machenden Botschaft in Berührung zu bringen“, sagt er. Und die könne Leben verändern, nicht nur in biblischer Zeit.
Zuerst fallen Rhode die Sterbenden ein. Er ist als Seelsorger für mehrere Altenheime zuständig, hält dort Wortgottesfeiern und sitzt auch an Sterbebetten. Wenn er mit Menschen betet und singt, dann erlebt er manchmal, dass sie ruhiger werden. Manchmal wird er zu Sterbenden gerufen, von denen er gar nicht weiß, ob sie Christen sind. Ein Nicken oder Augenzwinkern sagt ihm, dass sie aus der Begleitung Kraft schöpfen. Eine Mitarbeiterin im Altenheim schien einmal froh zu sein, dass er Worte und Gesten für Menschen nah dem Tod hat. „Als Christen können wir an verschiedenen Eckpunkten des Lebens einfach da sein“, sagt er. Im Altenheim sei das der Blick nach vorn. „Wir haben eine Perspektive und jemanden, der uns erwartet. Das ist die Hoffnung, die wir geben können.“
Und Hoffnung ist gefragt. Rhode berichtet von den Jugendlichen, die sich jedes Jahr zu den Lebenswendefeiern, einem kirchlichen Angebot für Nichtgetaufte, anmelden. Sie wollten sich „mit dem Sinn und den Fragen des Lebens auseinandersetzen“, sagt er. Sie brächten eine Offenheit mit und sagten: „Ihr von der Kirche macht etwas Gutes. Da will ich hören, was ihr zu sagen habt.“
Massentaufen finden dennoch nicht statt. „Was zum Taufbefehl dazugehört, ist die Spannung zwischen Glaube und Zweifel“, sagt Rhode. Er trifft immer wieder Menschen, die ihm erzählen, wie wichtig ihnen ist, was Jesus lehrte, auch wenn sie mit Kirche nichts anfangen können.
Rhode fragt nicht, ob jemand eine Portion Glauben möchte, er bietet sie an. Mit den Sternsingern singt er auch in der Fußgängerzone; mit erwachsenen Sternsingern geht er in die Kneipen. Der Wirt sagt: „Ach, ihr seid die mit den Aufklebern. Ihr dürft kommen“ – und sie verteilen die Segensstreifen. Wenn er in der Suppenküche der Caritas das Mittagsgebet hält, bringt er hoffnungsvolle Bibelsätze mit und verbindet sie mit der Erfahrung der Leute, die arm sind oder auf der Straße leben. Als Katholikinnen und Katholiken hätten sie in Erfurt ja „immer schon in einer relativen Minderheit gelebt“, sagt Rhode. Sie rekrutierten keine Taufbewerber. „Aber wir sind präsent.“
Glaubst du das wirklich?
Wird Glaube denn noch gebraucht? „Ja, sehr wohl!“, antwortet Rhode. Um „Menschen Halt zu geben in einer Zeit, die haltlos wirkt“. Entscheidend für ihn ist es, die richtige Sprache zu finden, nicht „Kirchenvokabeln, sondern die Sprache, die Menschen verstehen. Hinter unserer Kirchensprache kann ich mich auch verstecken“, sagt er.
Wenn er für Schulklassen Kirchenführungen macht, zum Beispiel im Dom oder in der benachbarten St. Severikirche, dann spricht er nicht nur von der Kunst und der Architektur, sondern auch von der Bedeutung der Dinge im Gotteshaus. Dann kann es passieren, dass ein Kind ihn fragt, ob er im Angesicht des blutenden Schmerzensmanns wirklich an diesen Jesus glaubt.
„Das sind Sternstunden“, sagt Rhode. Damals suchte er eine Antwort, die auch für nichtreligiöse Kinder verständlich ist, und fand ungefähr diese: „Ja, an den glaube ich.“ Und daran, dass auch das Schwere im Leben dazugehöre. Jesus ist gestorben und auferstanden. Das Leben gehe weiter. Gott lasse uns nicht allein.
Es scheint, als wollten viele Menschen nicht gleich getauft werden. „Es braucht einen Weg mit Jesus, um ihn kennenzulernen“, sagt der Seelsorger. Das wiederum hängt für Rhode auch von ihm selbst ab. Er will glaubwürdig sein. Doch damit Menschen ihn fragen, muss er zeigen, woran er glaubt. Nach der Kirchenführung für die Schulklasse fragte ihn die Lehrerin, ob ihm etwas aufgefallen war? Sie sagte, dass die Schülerinnen und Schüler ganz still geworden seien, als er über seinen Glauben sprach. „Ihr Eindruck war, dass Kinder Sehnsucht haben nach Antworten auf Fragen des Lebens“, sagt Rhode.