Anstoss 37/2018

Da fehlt doch was

Image
SYMBOL_Anstossbild_0.jpg

Neulich im Sonntagsgottesdienst: Im Evangelium ging es um die Reinheit des Herzens. Jesus redet mit denen, die sich für besonders fromm und gottesfürchtig halten, Klartext:


„Der Prophet Jesaja hatte recht mit dem, was er über euch Heuchler sagte: Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg von mir“. Der Pfarrer thematisierte in seiner Predigt die Reinheit des Herzens. Er fragte nach, was wohl ein reines Herz ausmacht – und na klar ist ein reines Herz jenes, das Gott gefällt. Ein Herz, in dem kein Platz ist für das, was gegen Gottes Gebote verstößt.
Der Pfarrer benannte ganz aktuelle Beispiele, unter anderem Fremdenhass und menschenverachtende Botschaften. Die Leidenschaft, mit der er so engagiert predigte, zeigte auch dem Gottesdienstbesucher in der letzten Kirchenbank, wie sehr er die Aufmärsche rechter Gruppen verabscheute. Genauso  leidenschaftlich legte er jedem ans Herz, genau hinzuschauen, wem er nachlaufe, wenn er an einer Demonstration teilnehme.
Auch mich treiben schon seit langem diese Fragen um: Rechtes Gedankengut ist längst keine Randerscheinung mehr. Mich erstaunt es nicht nur, mich erschreckt es, wenn ich sehe, wie viele völlig undifferenziert die Meinung rechtsgerichteter Personen übernehmen. Keineswegs sind es überwiegend junge Menschen; nein, unter ihnen gibt es auch so viele, von denen ich mich frage, ob sie es nicht besser wissen müssten. Da packen mich Entsetzen, Fassungslosigkeit und Wut.
Politiker und Politikerinnen, die aus ihrer menschenverachtenden Haltung kein Hehl machen, sie im Gegenteil mit einem „alles zum Wohle des deutschen Volkes“ und „gefährdeten Werten des christlichen Abendlandes“ verbrämen, kann ich nur schwer ertragen. Da kommt mir schnell ein „Scher dich zum Teufel“ in den Sinn.

Diese Reaktion mag menschlich sein, ist aber unchristlich. Während ich der Predigt zuhörte, kam mir zunehmend die Frage: Fehlt da nicht noch etwas? Ein Herz, das Gott gefällt, unterlässt nicht nur das, was Gott verabscheut. Es tut auch das, was ihm gefällt. Habe ich jemals für die gebetet, deren Gesinnung ich so verabscheue? Liegt mir ihr Heil am Herzen? In der Regel betet man für die, die einem am Herzen liegen. Da ist das Beten leicht. Doch wenn meine Gottesliebe echt und mehr als nur das von Jesus angeprangerte Lippenbekenntnis sein soll, hat auch mein Herz noch einiges zu tun.
 
Andrea Wilke, Erfurt