Reihe „Ortsbekenntnis – Bekenntnisorte“ der Guardini-Stiftung

Die Kirche als Schutzraum

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Wie unterschiedlich Religion in der Stadt gelebt wird, will die Guardini-Stiftung mit ihrer Reihe „Ortsbekenntnis – Bekenntnisorte“ herausfinden. Dazu besuchte sie kürzlich das Internationale Pastorale Zentrum in Berlin-Neukölln.

 
Die Gruppe vor der St. Eduard-Kirche in Berlin-Neukölln. | Foto: Henriette Gängel

„Kirche ist ein Raum des Schutzes, ja sogar ein Rückzugsort“, erklärt Klaudia Höfig, Leiterin des Internationalen Pastoralen Zentrums (IPZ) Berlin, einem aufmerksam lauschenden Publikum, das in den Bänken der St. Eduard-Kirche Platz genommen hat. An diesem sonnigen Samstag lädt die Guardini Stiftung Interessierte ein, das IPZ, eine Begegnungsstätte in Neukölln, zu besuchen.
Die Veranstaltung ist Teil der Reihe „Ortsbekenntnis – Bekenntnisorte“, in deren Rahmen von 2018 bis 2020 insgesamt 18 der über 250 in Berlin beheimateten Religionsgemeinschaften Ziel kleinerer Exkursionen sein werden. Es geht darum, zu erkunden, wie unterschiedlich Religion im städtischen Raum gelebt wird und wie die Gemeinden – ­Christen, Juden Muslime und andere – in kultureller, gesellschaftlicher, sozialer und städtebaulicher Hinsicht den Alltag in Berlin prägen. Die Stadt, die einst als Hochburg des Atheismus galt, ist längst ein Ort religiöser Vielfalt geworden. Die Exkursionsreihe gehört zum vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) geförderten Projekt „Stadt und Religion“, das die Guardini Stiftung derzeit realisiert.

 
„Wir verstehen Kirche als durchlässig für die Welt“
Im Berliner Stadtteil Nord-Neukölln ist gelebte Vielfalt eine Notwendigkeit. Circa 85 000 der 162 000 Einwohner haben einen Migrationshintergrund. Die Arbeitslosenquote liegt bei 16 Prozent. Wer hier soziale Arbeit leistet, bekommt es also nicht nur mit religiöser und kultureller Diversität, sondern oft auch mit Armut und Menschen in großen Nöten zu tun. Das Internationale Pastorale Zentrum, eine Einrichtung des Erzbistums Berlin, stellt sich in den Dienst dieser Menschen, Menschen, die oft auch in seelsorgerischer Hinsicht bedürftig sind. Denn sie haben in Kriegsgebieten und auf der Flucht Unaussprechliches erlebt. „Wir verstehen Kirche als durchlässig für die Welt“, sagt Klaudia Höfig. Die Arbeit, die das Zentrum leistet, ist nicht nur wichtig und vitalisierend für den Stadtteil, sie hat auch Modellcharakter für die gesamte Flüchtlingsdebatte.
Kirche als Schutzraum – was bedeutet das eigentlich? In den Räumlichkeiten der Katholischen Gemeinde St. Eduard, die auch vom IPZ genutzt werden, befindet sich die Fachberatungsstelle Solwodi – „Solidarity with Women in Distress“, also „Solidarität mit Frauen in Not“. Die Fachberatungsstelle berät Betroffene von Menschenhandel und anderen Formen von frauenspezifischer Gewalt, Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen mit dem Schwerpunkt auf Afrika. Im ehemaligen Pfarrhaus bietet die Bildungsstätte „JACK“ Deutschkurse für Migrantinnen und weibliche Flüchtlinge an. Wöchentlich besuchen 60 bis 90 Frauen den Unterricht; ihre Kinder werden währenddessen betreut. Klaudia Höfig kommentiert: „Auch ein Ort der Bildung braucht einen geschützten Raum.“
 
Sanfter Widerstand gegen politische Ignoranz
Die oftmals afrikanischen Frauen, die die Beratungsstelle und die Deutschkurse in Anspruch nehmen, können die Trennung von Glauben und Leben, die in Deutschland vorgenommen wird, häufig nicht nachvollziehen. Viele Deutsche gehen sonntags in die Kirche, und wenn es zu einer Katastrophe kommt, fragen sie sich, wie Gott, falls er existiert, das zulassen konnte. Die Menschen, die die Angebote in St. Eduard nutzen, beziehen Gott ganz natürlich in ihr Erfahrungsspektrum mit ein. Lebenspraktische Bedürftigkeit und die Suche nach Antworten gehen für sie miteinander einher.
Auch Martin Kalinowski, Pfarrer der Gemeinde St. Eduard, und Susanna Kahlefeld berichten von ihren Erfahrungen im Internationalen Pastoralen Zentrum. In politischer Hinsicht, sagt Kahlefeld, Mitglied der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, gebe es nach wie vor ein großes Spannungsfeld, wenn über soziale Missstände wie hier in Neukölln diskutiert werde. Kirchen und Begegnungsstätten wie das IPZ seien Orte des sanften Widerstandes gegen politische Ignoranz.
Am Ende der Veranstaltung kommt sie doch, die unvermeidliche kritische Publikumsfrage. Sie geht an Klaudia Höfig: „Sind Sie auch Gemeindehelferin für die ‚Normalen‘?“ Raunen geht durch den Gemeinderaum, in dem sich inzwischen die Zuhörerschaft bei Kaffee und türkischem Gebäck versammelt hat. „Sie sind hier in Neukölln.“, erwidert Martin Kalinowski an ihrer Stelle vergnügt, „Hier gibt es keine ‚Normalen‘.“
 
Von Patricia Löwe